Johannes Brahms' Sinfonie Nr. 3 in F-Dur op. 90, gespielt vom WDR Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Cristian Măcelaru am 19. Februar 2022 in der Kölner Philharmonie.
Johannes Brahms - Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
00:00:00 I. Allegro con brio
00:12:13 II. Andante
00:20:12 III. Poco Allgeretto
00:26:15 IV. Allegro
WDR Sinfonieorchester
Cristian Măcelaru, Leitung
In seiner Reihe "Kurz und Klassik" spricht Chefdirigent Cristian Măcelaru über Brahms dritte Sinfonie:
https://youtu.be/qp6VHGiWbDg
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○ Werkeinführung
Für das ambitionierte Vorhaben, eine Sinfonie zu komponieren, brauchte Johannes Brahms einen freien Rücken. Keine seiner vier Sinfonien hat er zu Hause in Wien zu Papier gebracht, wo die kleinen und großen Störungen des Alltags erst gar nicht die erforderliche Konzentration aufkommen ließen. Für großformatige Werke zog er sich daher im Sommer in die Natur zurück: für die erste Sinfonie nach Rügen, für die zweite an den Wörthersee und für die vierte nach Mürzzuschlag in der Steiermark. Und die Dritte? Dafür ließ er es 1883 ausnahmsweise großbürgerlich-städtisch angehen – in einer feudalen Wiesbadener Villa, wie er einem Freund schrieb: "Ich wohne hier reizend ... Ursprünglich als Atelier gebaut, ist es nachträglich zum hübschesten Landhaus geworden". Hier grübelt er am Tage über den Noten, aber nach außen dringt darüber nicht der Deut einer Information. Brahms genießt Abendgesellschaften, parliert angeregt mit den Gästen. Aber er schweigt sich aus über sein tägliches Tun. Auch in seinen Briefen, die er aus Wiesbaden verschickt, erwähnt er die Dritte mit keiner Silbe. Und als sie fertig ist, scheint er alle Spuren ihrer Entstehung beseitigen zu wollen – nicht eine Skizze hinterlässt er der Nachwelt, allein die fertige Partitur. Um die buhlen sodann die Verleger. Am Ende wird, wie sonst auch, Fritz Simrock den Zuschlag erhalten. Bis es so weit ist, pokert Brahms um seinen Marktwert. In die Karten spielt ihm der Wiener Konzertagent Albert J. Gutmann, der in einem offenen Brief ankündigt, für die Sinfonie zehntausend Gulden zahlen zu wollen – ein Drittel mehr als Simrock. Der sitzt derweil in Berlin und schäumt. Schließlich aber gibt Brahms klein bei, weiß er doch zu gut, was er an seinem Stammverlag hat.
Warum sich der Komponist im Entstehungsprozess so schmallippig gab, scheint die Musik zu verraten: Erstmals in einer Sinfonie erprobt Brahms in der Dritten ein zyklisches Prinzip. Das wuchtig dionysische Hauptthema vom Anfang beispielsweise lässt er gezähmt, regelrecht geläutert noch einmal ganz zum Schluss erklingen, als Kaskade aus apollinischen Höhen.
Text: Otto Hagedorn